„Ich wünsche mir, dass Radfahren in Mainz positiv gesehen wird“

Ist Mainz eine Fahrradstadt? Oder sind Radfahrer für die meisten Bewohner der Stadt nur Rüpel? Und was tut die Kommune dafür, damit sich das ändert? Ein Gespräch mit der Mainzer Verkehrsdezernentin Katrin Eder (Grüne).

  • Eder sieht bei Fahrradpolitik viele Mainzer hinter sich.
  • Stadtteile sollen mit Fahrradstraßen angebunden werden.
  • Radverkehrsforum mit Bürgern im Herbst geplant.
  • Fahrradparkhaus am Bahnhof soll endlich kommen.

Frau Eder, wie kommen Sie denn morgens zur Arbeit ins Rathaus?

Zu Fuß oder mit dem Fahrrad.

Teilen Sie denn das Gefühl vieler in Mainz, dass in der Stadt eine regelrechte Anti-Stimmung gegenüber Radfahrern herrscht? In einem aktuellen Beitrag der Allgemeinen Zeitung wurden Menschen zitiert, die Radfahrer vor allem als Rüpel empfinden. Die Radler würden sich gegenüber den Fußgängern zu viele Freiheiten herausnehmen, heißt es.

Nein, das Gefühl teile ich nicht. Denn wenn das so wäre, würden ja nicht immer mehr Leute aufs Rad umsteigen. Mainz hatte sehr viel Nachholbedarf was den Radverkehr angeht, weshalb wir Grünen da seit 2011 einen Schwerpunkt drauf legen. Vertreter der alten Mobilität haben seitdem teilweise das Gefühl, benachteiligt zu werden. Diese Leute artikulieren sich sehr laustark in der Zeitung. Wenn man aber ins Internet schaut, dann erkennt man, dass sich dort viele positiv zum Radverkehr äußern. Ich denke, dass wir es hier mit einer Generationendiskussion zu tun haben, die sich um die Frage dreht, wie man sich fortbewegt und wie man Mobilität lebt. Und die Öffentliche Meinung entspricht dabei nicht unbedingt der veröffentlichten Meinung.

Wie kann man diese „Vertreter der alten Mobilität“ beim Wandel hin zu einer fahrradfreundlicheren Stadt denn mit ins Boot holen?

»Wir haben noch keine Maßnahmen ergriffen, die den Autoverkehr einschränken.«

Das ist unheimlich schwer. Denn die Leute regen sich auf, obwohl wir eigentlich noch gar keine Maßnahmen ergriffen haben, die den motorisierten Individualverkehr einschränken.

Aber es gibt doch zum Beispiel die Stationen für MVGmeinRad, für die Autoparkplätze weichen mussten …

»Jeder, der sich auf dem Fahrrad schlecht benimmt, schadet der Gruppe der Radfahrer.«

Ja, aber diese Stationen sind über das Stadtgebiet verteilt und es wurden dafür nur ungefähr 100 Parkplätze weggenommen. Trotzdem haben manche Leute den Eindruck, dadurch stark eingeschränkt zu werden, was nicht der Fall ist. Wir ergreifen Maßnahmen, die den ÖPNV und den Radverkehr fördern und es ist klar, dass es mit mehr Radverkehr auch mehr Verstöße gegen die Straßenverkehrsordnung gibt. Und jeder, der sich auf dem Fahrrad schlecht benimmt, der schadet der Gruppe der Radfahrer insgesamt. Ich möchte das nicht klein reden, ich verfluche jeden, der mir nachts auf der falschen Seite des Radwegs ohne Licht entgegen kommt. So etwas wirft ein schlechtes Licht auf Radfahrer. Aber es benehmen sich auch Fußgänger und Autofahrer schlecht, deswegen halte ich diese ganze Anti-Diskussion im Moment für überzogen.

Apropos fahrradfreundliche Stadt: Bei vielen Straßen steht die Aufhebung der Radwegebenutzungspflicht an, sodass Radler dort zukünftig auf dem Radweg und auf der Straße fahren dürfen. Wie weit sind Sie da?

Wir haben noch fast nichts umgesetzt: Nur die Boppstraße und ein paar kleinere Straßen. Die Mehrzahl der Straßen muss noch folgen.

Zum Beispiel die Große Bleiche, die mit ihren engen, unübersichtlichen Radwegen ein echter Graus für Radler ist. Aber hilft es da überhaupt, die Benutzungspflicht aufzuheben? Ist es nicht gefährlich, wenn Fahrradfahrer trotz vorhandenem Radweg auf der Straße fahren und Autofahrer das nicht verstehen?

»Es ist sicherer für Radler, auf der Straße zu fahren, weil man da gesehen wird.«

Natürlich wird sich der ein oder andere Autofahrer darüber ärgern, aber wer als Radfahrer auf der Straße fährt, der fährt sicher, weil er dort auch gesehen wird. Und auf der Bleiche kann man tagsüber eh nicht schneller fahren as 30 km/h, das heißt der Radfahrer schwimmt da ordentlich im Verkehr mit. Und auch die Fußgänger werden sich freuen, wenn die Radfahrer vom Radweg verschwinden. Denn der Weg mündet derzeit in Bushaltestellen und auf dem Neubrunnenplatz, wo es dann zu Konflikten mit den Fußgängern kommt.

Verschaffe Dir einen Überblick: Auf dieser Karte ist die Parkfläche der Aktion zu sehen.

Anders als auf der Bleiche soll die Bahnhofstraße komplett umgebaut werden. Kommt das Millionenprojekt auch den Radfahrern zugute?

Es wird einen acht Meter breiten Boulevard geben, den allerdings vor allem Fußgänger nutzen sollen. Wir wollen auch nicht, dass die Radfahrer auf den Gleisen fahren, weil das zu gefährlich ist. Zum einen appellieren wir also auf gegenseitige Rücksichtnahme. Zum anderen soll die Verbindung Gärtnergasse-Bahnhof besser gestaltet werden, so dass die, die mit dem Rad schnell fahren wollen, die Gärtnergasse und nicht den Boulevard nutzen. Wir beugen uns jedoch nicht den Forderungen, das Radfahren in der Bahnhofstraße zu verbieten.

Was soll sich an der Gärtnergasse denn konkret ändern?

Es ist vor allem der Übergang von der Gärtnergasse zum Bahnhof, der unkomfortabel ist, denn man muss absteigen, über Fußgängerampeln gehen, den Gehweg entlang schieben … da machen wir uns Gedanken, wie man das besser gestalten könnte.

Sollen flotte Radler dann auch in Richtung Schillerplatz die Gärtnergasse nehmen?

Ja. Und dann in die Große Langgasse fahren und dann rechts abbiegen. Auch der Übergang vom Münsterplatz in die Schillerstraße soll umgestaltet werden, dafür stehen im Haushalt jedoch noch keine Mittel zur Verfügung.

In Hechtsheim gibt es seit einer Weile eine Fahrradstraße, die den Stadtteil mit der Innenstadt verbindet. Wie wird die angenommen?

»Aus jedem Stadtteil soll eine zentrale Fahrradachse in die Innenstadt führen.«

Die Straße ist ein voller Erfolg. Uns schwebt vor, dass wir aus jedem Stadtteil so eine zentrale Fahrradachse in die Innenstadt führen. Konkrete Pläne für weitere Stadtteile gibt es aber noch nicht.

Der Ortsvorsteher von Ebersheim, Matthias Gill (Grüne), fordert, die Wirtschaftswege zwischen Hechtsheim und Mainz‘ südlichstem Stadtteil zu pflegen, damit man auch dort gut Fahrradfahren kann …

Wir haben Wirtschaftswege zwischen Ebersheim und Hechtsheim neu asphaltiert und uns ist auch bewusst, dass wir gerade in der Erntezeit auf den Wegen Pfützen und Dreck haben. Man muss aber auch sagen: Wir haben in Mainz 150 Kilometer Wirtschaftswege, da können wir nicht auf Kosten des städtischen Haushalts den Dreck, den die Bauern verursachen, wegräumen, das wäre zu teuer.

Das hilft den Ebersheimer Radfahrern aber nicht.

»Es ist gegenseitige Rücksichtnahme gefragt.«

Die Bauern müssen den Dreck entfernen. Man sollte sich aber auch nicht über jeden Dreckkrumen beschweren, der in der Erntezeit liegen bleibt. Das ist ein Geben und Nehmen, Radfahrer müssen tolerieren, dass es eine Erntezeit gibt und dass da schweres Gerät rumfährt und die Bauern müssen sich daran halten, dass sie die Entwässerungsfunktion der Witschaftswege nicht einschränken, indem sie bis zum Wegesrand pflügen. Hier ist wie immer und überall gegenseitige Rücksichtnahme gefragt.

Fahrradhighway von und zum Unicampus in Utrecht (Niederlande)

Fahrradhighway von und zum Unicampus in Utrecht (Niederlande). Foto: Fabian Scheuermann

Sie sprachen vorhin von einer besseren Anbindung der Stadtteile. Ist denn auch eine neue Verbindung zum Campus geplant? Städte wie das niederländische Utrecht haben zwischen ihren Innenstädten und Universitäten Fahrradschnellstraßen gebaut …

Nein, in Mainz bleibt die Verbindung für Radfahrer so, wie sie bislang ist.

Sind Sie denn mit anderen Städten in Kontakt, was die Verkehrsplanung für Radfahrer angeht? Findet da eine Vernetzung statt?

Der bisherige Radfahrbeauftragte Bernd Mayer-Zawar hat sich regelmäßig in Form von Treffen und Gesprächen vernetzt. Die Stelle unseres Radfahrbeauftragten ist im Moment leider nicht besetzt aber das wird sich bald ändern, gerade hatten wir Bewerbungsgespräche.

Gibt es denn Pläne, sich an große Straßen wie die Kaiser- oder die Rheinstraße oder an eine Verbesserung der Verbindung zwischen Mainz und Wiesbaden zu wagen? Da gibt es ja sicherlich Widerstand aus der Autofahrerlobby …

Es gab Überlegungen für die Kaiserstraße, die haben wir aber erstmal nach hinten gestellt, weil in den Diskussionen deutlich wurde, dass eine Mehrheit im Stadtrat dafür noch nicht zu organisieren ist. An der Bleiche wird sich ja etwas tun und auch was in Bezug auf die Barrierefreiheit der Kaiserbrücke sind wir endlich in Gesprächen mit der Bahn. An der Rheinstraße ist momentan jedoch nichts zu machen, da muss man weiter am Rhein entlang fahren.

Und wenn dort ein Fest stattfindet, wie dieser Tage die Bierbörse?

»Wir haben halt nur einen Mitarbeiter für den Radverkehr«

Wir bemühen uns an Festen, für Umleitungen zu sorgen, es ist aber schwierig, weil sich nicht jeder an unsere Vorgaben hält. Eigentlich müssen von den Standbetreibern Lücken frei gehalten werden aber da stehen dann die Mülltonnen und so. Das müsste stärker kontrolliert werden. Wir bemühen uns auch bei Baustellen, Umleitungen zu beschildern. Aber wir haben halt nur einen Mitarbeiter für den Radverkehr …

… und das bleibt auch so?

»Wir versuchen mit dem, was wir haben, den Radverkehr zu stärken«

Ja. Aber der Radfahrbeauftragte ist mittlerweile kein Einzelkämpfer mehr, sondern ist in die Strukturen eingebunden und hat klare Befugnisse, auf wen er wann und wie zugreifen kann. Wir versuchen eben, mit dem, was wir haben, den Radverkehr zu stärken. 2009 war ja geplant, die Stelle zu streichen, doch die Grünen haben in den Koalitionsverhandlungen durchgesetzt, dass die Stelle erhalten bleibt.

Ist denn eine gescheite Anbindung der neuen Stadtquartiere Zollhafen und Heilig-Kreuz an den Radverkehr geplant?

Dass bei einem größeren Bauprojekt der Radfahrbeauftragte mit in die Planungen einbezogen wird, ist mittlerweile eine Selbstverständlichkeit.

Wie können denn normale Mainzer ihre Politik für eine fahrradfreundlichere Stadt unterstützen?

Zum einen kann man uns E-Mails schreiben. Zum anderen bin ich dankbar für jeden Radfahrer, der einen Leserbrief an die Zeitung schreibt, damit eben auch mal andere Meinungen veröffentlicht werden. Im Herbst werden wir ein großes Radverkehrsforum veranstalten, wo jeder die Möglichkeit erhalten wird, den Radverkehr in Mainz zu diskutieren.

Ist auch die Teilnahme an einer Veranstaltung wie der monatlich durch die Stadt fahrenden Critical Mass eine Möglichkeit, um Fahrradfahren in Mainz zu fördern?

Ich bin schon selbst bei der Critical Mass mitgefahren und ich finde diese Art, sich einzubringen, gut! Die rege Teilnahme zeigt ja auch, dass es entgegen der veröffentlichten Meinung viele insbesondere junge Leute gibt, die das Radfahren in Mainz wollen und auf Verbesserungen drängen. Nur artikulieren sich deren Meinungen eben nicht in Form von Leserbriefen. Ich sehe in der Critical Mass eine Unterstützung für meine Arbeit.

Wie hoch ist denn eigentlich der Anteil der Radfahrer in Mainz?

Der Anteil steigt, aber wir können ihn momentan nicht genau quantifizieren. Deshalb haben wir eine Befragung in Auftrag gegeben, so dass wir im nächsten Jahr Zahlen vorliegen haben.

Sie sind seit 2011 im Amt und haben noch vier Jahre vor sich. Sind Sie zufrieden mit dem, was Sie bisher erreicht haben?

»Ich wünsche mir, dass das Radfahren in Mainz positiv gesehen wird.«

Mehr geht immer! Aber ich glaube dass wir das, was wir machen konnten, ausgereizt haben. Gut war, dass wir trotz der vielen Diskussionen insbesondere um wegfallende Parkplätze, so schnell die vielen Plätze für die MVGmeinRad-Stationen gefunden haben. Dass das so schnell geklappt hat, war ein Kraftakt! Wir haben außerdem das jährlich für den Radverkehr zur Verfügung gestellte Geld von 50000 auf 250000 Euro erhöht – trotz klammer Kassen. Wir haben tausende Fahrradbügel aufgestellt und bewirkt, dass es mittlerweile Standard ist, dass bei Baustellen der Radverkehr mitgedacht wird. Diese Dinge muss man anerkennen.

Was wollen Sie bis zum Ende ihrer Amtszeit noch erreichen? Haben Sie einen Traum?

»Diese aufgepeitschte Stimmung momentan bewegt mich sehr«

Ja und der ist endlich in greifbarer Nähe: ein Fahrradparkhaus am Hauptbahnhof. Das haben die Grünen schon in den 90er-Jahren gefordert. Es ist mein festes Ziel, dass das Parkhaus 2019 – also zum Ende meiner Amtszeit – steht. Ein Wunsch von mir ist auch, dass wir es schaffen, eine gute Verbindung für Radfahrer in jeden Stadtteil einzurichten. Und ich wünsche mir, dass die Leute einfach sagen: Es macht Spaß, in Mainz mit dem Rad zu fahren. Dass das Radfahren positiv gesehen wird und man auf der Straße nicht mehr angeschrien wird. Diese ganze negativ aufgepeitschte Stimmung im Moment bewegt mich sehr.